Aus der Zeit gefallen
Die fabelhafte Handwerkswelt der Christine Weiner
Wer die Schwelle von Christine Weiners Werkstatt im Missionshaus und Kloster St.Gabriel in Maria Enzersdorf überschreitet, betritt die Welt eines fast vergessenen Handwerks. Zwischen uralten, mechanischen Schreibmaschinen, Landkarten aus Afrikas Kolonialzeit, Holzkästen mit Messinglettern für Goldprägungen, Papierschneidemaschinen und Buchpressen lädt die Buchbindermeisterin lächelnd ein, sich umzusehen.
Die Arbeit eines Buchbinders beginnt mit dem Vorrichten der Einzelblätter oder Bögen, welche mit einem eigenen Werkzeug, dem Falzbein, zuvor gefaltet worden sind. Dieser Stoß Einzelblätter wird sodann geleimt. Gefalzte Druckbögen werden als Lagen geheftet und geleimt, was auch von Hand geschieht.
Nach einem Ausflug in das Studium der Kunstgeschichte absolvierte Christine Weiner eine dreijährige Lehre bei einem Kunstbuchbinder, machte sich danach selbständig und kaufte eine alte Goldprägerei. In einer solchen werden mit alten Messinglettern, Klischees und Prägewerkzeugen, in diesem Fall aus der k.u.k. Zeit, Titel und Verzierungen in Gold auf Bucheinbände aufgebracht. Bis 1998 befasste sich Christine Weiner ausschließlich mit solchen Goldprägearbeiten.
Mitunter erleichtert die Druckerei das Vorrichten dadurch, dass, später unsichtbar, auf den Rücken der gefalzten Druckbögen treppenförmig von der ersten bis zur letzten Lage, Strichmarkierungen, sogenannte Flattermarken, zur leichteren Kontrolle der Reihenfolge, angebracht werden. Sodann wird der gesamte Rücken des Buchkerns per Hand geleimt. Mit der Papierschneidemaschine wird der Kopf-, Fuß- und Vorderschnitt durchgeführt.
Nach der Meisterprüfung als Buchbinderin 1998 lädt das Missionhaus St.Gabriel, selbst eine langjährige Ausbildungsstätte für Buchbinder mit eigener Binderei, Christine Weiner ein, in der seit Anfang des 20.Jahrhunderts bestehenden Werkstatt, als selbständige Meisterin zu arbeiten. Seit das Missionshaus 2010 die eigene Buchbinderei aufgab, residiert Christine Weiner mit ihren zwei Mitarbeitern alleine in der Traditionswerkstatt.
Der nächste Schritt auf dem Weg zum Buch ist das Runden des Rückens. Dies geschieht entweder mit einer Maschine oder händisch mit einem Holzhammer durch Klopfen auf die geleimte Seite, wobei Erfahrung, Gefühl und Geschick erkennen lassen, wann das Ziel erreicht ist. Das Runden des Rückens verhindert, dass sich die Seiten am Vorderschnitt nach vorne wölben und es bewirkt eine längere Haltbarkeit, was bei Büchern wie z.B. Nachschlagewerken, die oft in die Hand genommen werden, besonders wichtig ist.
Die verschiedensten Druckwerke gehen zum Binden durch die Hände von Christine Weiner: Zeitschriften zu Jahrgangsbänden, Fachbrochuren, Schriftensammlungen, Diplomarbeiten, Werkverzeichnisse, aber auch Zeitungen, Lyrik, Romane, Erzählungen, Buchkassetten, Fotoalben, Gästebücher, Bundesgesetzblätter und vieles mehr. Zu den Stammkunden zählen Universitätsbibliotheken, Institute, Archive, Gemeinden, Kanzleien, Druckereien und Copyshops. Aber auch der Reparatur alter Werke, Kochbücher, Kinderbücher und Handschriften, gehört die Liebe Christine Weiners.
Um die Rundung des Rückens dauerhaft zu erhalten, wird dieser mit einem starken Papier hinterklebt und das sogenannte Kapitalband am Kopf und Fuß des Buches, zum Schutz und zur Verstärkung, angeleimt. Somit ist der Buchkern fertiggestellt. Danach erfolgt die Herstellung der Einbanddecke. Dabei werden die Pappendeckel mit Leinen, Leder, Papier oder auch Kunststoffmaterial überzogen. Nach diesem Arbeitsgang kommt es oft zum Prägen in Gold, Silber oder Farbe mittels speziellen Folien – womit Christine Weiner ihre selbständige Berufstätigkeit begann. Als abschließender Schritt wird der Buchkern in die Einbanddecke eingehängt und angepappt. Das heißt, geleimt, in der Buchpresse kurz gepresst und danach, mit Bleigewichten beschwert, abgelegt. Nach der Trocknung nach einem Tag, ist das Buch fertig. Christine Weiner nimmt es in die Hände und schlägt es zum ersten Mal auf.
Das Schicksal des Handwerks ist auch an der Buchbinderei nicht vorbei gegangen. Nur mehr geschätzte vierzig handwerkliche Betriebe haben sich in Österreich erhalten. Neben der industriellen Buchbinderei und dem elektronischen Buch, widmet sich eine Handvoll Idealisten der hohen Handwerkskunst in mühevollen Einzelschritten. Sie sehen unter ihren Händen Bücher entstehen, die schon immer und noch heute den Zweck erfüllen, Wissenswertes und Bewahrenswertes für die Menschen in sinnlicher, angreifbarer und ästhetischer Form zu erhalten. Für längere Zeit, mitunter für Jahrhunderte.
Tobias Braun, Christine Weiners Bruder, ist Instrumentenbauer von klassischen Konzertgitarren. Ist auch das Ausgangsmaterial für beide Handwerksmeister das Holz, bewundert Christine Weiner ihren Bruder dafür, dass seine Werke Musik hervorbringen, die die Menschen ganz unmittelbar anrührt. Doch ihre Bücher lassen Bilder und Gedanken im Leser entstehen, die jeden Menschen reicher machen. Denn stumm sind Bücher ganz und gar nicht. Und etwas anders als Bücher zu machen, könnte sich Christine Weiner nicht vorstellen.
Text:
Rainer Handl
www.bibliothekderprovinz.at/buch/5046/
Quelle:
ALTE HANDWERKSKUNST IN ÖSTERREICH II
Noch mehr Wertvolles, Erlesenes, Besonderes
Mark PERRY – Text - Gregor SEMRAD – Photographie
Mit einem Vorwort von Karl Hohenlohe
160 Seiten, ca. 300 Bilder, 22 x 22 cm, Hardcover
Inkl. aller Kontaktdaten der Handwerker, Infos über Workshops,
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ISBN 978-3-7020-1483-4
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